Montag, 24. Juli 2023

Der Umgang mit Ängsten durch verstärkte Wahrnehmungsprozesse

Immer wieder gerät der Mensch in Situationen, die ihn überfordern und in ihm das Gefühl aufsteigen lassen, am liebsten ganz weit weg zu sein, also der Situation zu entfliehen. Dieses Gefühl hilft bekanntlich wenig, um wieder Herr der Lage zu werden. Heinz Grill, erfahrener Kletterer und spiritueller Lehrer, beschreibt in einem Buch (1) die Situation am Fels, wenn der Kletterer bereits eine Strecke hinter sich hat und eine sehr schwierige Passage ansteht. Zurück kann er nicht mehr und vor ihm wartet das gefühlt unüberwindbare Hindernis. In dieser Situation beginnen die Nerven zu flattern und Ängste steigen auf. Diese führen weiterhin dazu, dass eine vernünftige Einschätzung der Lage unmöglich wird und die Bewegung nicht mehr gut gesteuert werden kann, sodass die Absturzgefahr steigt. In diesem Moment benötigt es die genau umgekehrte Bewegung: nicht der Rückzug, sondern die verstärkte Kontaktaufnahme führt zur Beruhigung der Nerven und aufsteigenden Ängste. Wie ist der Fels geformt? Wie fühlt er sich an? Kann ich ihn auf den Handflächen und Fingerspitzen spüren? Die Wahrnehmung und das In-Beziehung-treten mit dem Stein führt zu einer Ruhe und aus dieser heraus wird es wieder möglich, mit besonnenem Blick den weiteren Verlauf der Kletterroute zu studieren und sich Schritt für Schritt weiter voranzutasten. 

In Situationen, die uns überfordern ist es also hilfreich, sich bestimmte Fragen zu stellen, die uns wieder in eine Fremd- und Eigenwahrnehmung führen und letzten Endes ein ruhiges und bedachtes Handeln ermöglichen. 

Beispielsweise: Wie wirkt mein Gegenüber auf mich? Wie ist sein Blick, seine Körperhaltung? Wie ist mein eigene Haltung? Der Kontakt zum Boden? Der Atem? Indem ich mir Fragen dieser Art stelle, stelle ich mich der gegebenen Situation bewusst gegenüber und erlebe mich als Beobachter und befreie mich in ersten Zügen aus einer unbewussten Eingebundenheit. 

Gebirge: Klettern - Klettern - Gebirge - Natur - Planet Wissen

(1) Heinz Grill: Das Wesensgeheimnis der Seele, S. 228ff.


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